Es gibt keine bessere Jahreszeit für Harry-Potter-Fans. Im Herbst zeigt sich Schottland von seiner dramatischsten Seite: Nebel, karge Berge, gelbe Birken, manchmal ein Himmel, der sich blutrot färbt wie Flechten im Hochmoor, in den Highlands. Ben (Berg), Glen (Tal), Loch (See), daraus formt sich eine Landschaft wie gemacht für das berühmteste Zauberinternat der Welt: Hogwarts. Viele der Harry-Potter-Filme spielen hier.

Wo Hogwarts genau liegt, hat Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling stets offengelassen. Irgendwo in Schottland jedenfalls, so viel ist sicher, steht das „riesige, weitläufige und ziemlich bedrohliche Schloss mit einem Gewirr von Türmen und Zinnen“, nicht von Menschenhand gemacht.

Ungefähr zehn Minuten taucht es im neuen Film „Grindelwalds Verbrechen“ auf, der im November anläuft. Die Geschichte der Zauberlehrer spielt im Jahr 1929. Rowling, 53, schrieb das Drehbuch, es wird dunkler, erwachsener zugehen als in den Potter-Filmen zuvor. Die Themen sind aktuell: Verführbarkeit durch Ideologien, Macht, Ausgrenzung.

Wer ihre Bücher gelesen hat, wer die Potter-Filme gesehen hat, wer mehr als 20 Jahre Fan von Rowlings magischer Welt ist, den zieht es irgendwann nach Schottland, an den Ort des Entstehens.

Harry-Potter-Fans fahren im „Hogwarts Express“

Zum Pflichtprogramm gehört natürlich eine Fahrt mit dem Jacobite Steam Train. Die Museumsbahn ruckelt über den Glenfinnan-Viadukt, für alle Potter-Fans eine vertraute Szene: In diesem Zug, auf dieser Strecke fahren Potter und seine Freunde am Ende jedes Sommers nach Hogwarts.

Nun kann man als Tourist in diesem „Hogwarts Express“ sitzen und einen High Tea genießen. Nie schmeckt der besser, als wenn Regen gegen die Scheiben peitscht. Draußen verschwimmt alles, Loch Morar, windschiefe Bäume, wildes Gestrüpp. Vier Stunden dauert die Tour ab Fort William.

Die Tickets kauft man besser rechtzeitig online, es gibt mehr Potter-Fans als Plätze in dem Dampfzug. An Bord werden Hauselfen (für 100 Euro), Zauberstäbe und Schnee-Eulen verkauft. Manche Erwachsene tragen Zauberhüte und weinrot-goldene Gryffindor-Schals.

„Anything off the trolley, dear?“ steht auf den Karten auf den Tischen. Das ist der Spruch der Süßigkeitenfrau, die ein fantastisches Eigenleben führt, bei der sich Harry & Co. mit Schokolade und Bonbons eindecken. Auch im Zug gibt es Schokofrösche, für Kinder Zaubertränke (heißen Kakao), für die Eltern Giftsäfte (Cocktails mit Alkohol).

Besenfliegen fällt aus? Dann wandern in den Highlands

Ein weiteres Muss: Besenstielkunde (Broomstick training) auf Alnwick Castle, zwei Autostunden südlich von Edinburgh, schon in England gelegen. Hier erhielt Harry Potter seine erste Flugstunde, hier wurden viele Quidditch-Szenen gedreht – eine Art Rugby der Lüfte und Rowlings Erfindung.

Bei zu viel Regen kann die Besenstielreitstunde aber schon mal ausfallen. Lapidar steht dann dort: „Today: poor flying conditions“. Seitdem amerikanische Touristen beim Üben auf dem nassen Hügel ausgerutscht sind, hat man auf dem berühmten Schloss dazugelernt: Für Besenfliegen braucht es trockenen Rasen.

Mit oder ohne Besen geht es auf eine Wanderung durch Glen Coe in den Highlands. Am Loch Torren stand die Hütte des Halbriesen Hagrid, leider längst abgebaut, aber das malerische Tal mit Brücken, Wildbächen und Heidelbeersträuchern ist auch so ein Erlebnis.

Ein Stück im Landesinneren liegt Rannoch Moor, ein einsames, weitgehend unbebautes Plateau in den Highlands. Hier haben Dementoren, die grausamsten magischen Wesen, den Zug nach Hogwarts heimgesucht. Im Herbst ist die Kulisse auch ohne die magischen Seelenfresser beeindruckend, etwa wenn sich über dem Moor dicke, dunkle Wolken ballen, die Straße im Platzregen kaum noch zu sehen ist oder die Sonne einen Regenbogen zaubert.

Wo man Joanne K. Rowling in Schottland trifft

Am Fuß von Schottlands höchstem Gipfel, Ben Nevis, dem „Berg in den Wolken“, 1345 Meter hoch, liegt Glen Spean. Hier wurden die Szenen des ersten Quidditch-Matches (Gryffindor gegen Slytherin) gedreht. Harry siegte, indem er den goldenen Schnatz mit dem Mund auffing.

Die Wälder um Loch Arkaig, über die Harry Potter mit Hermine und Ron nach ihrer Flucht aus der Bank Gringotts auf dem Drachen fliegt, hat der Woodland Trust Scotland gekauft, damit alles bleibt, wie es ist. Wer nach Glean Spean will, sollte allerdings rechtzeitig tanken. Denn viele Möglichkeiten dazu gibt es auf dem Weg nicht, genau gesagt: eine.

Rowling ist zwar im englischen Gloucestershire aufgewachsen, ihre Heimat aber ist Schottland. Hier lebt sie entweder auf ihrem Anwesen Killiechassie in den Highlands oder in Barton, einem Vorort von Edinburgh, hinter hohen Hecken. Der Bus X55 fährt vorbei.

Manchmal isst sie im „Prestonfield House“, Ende August umarmte sie dort spontan ein schwules Hochzeitspaar, ließ sich mit den sprachlosen Ehemännern fotografieren. Das Herrenhaus von 1751 liegt mitten in einem Park, 23 Zimmer, das mit Abstand schönste Hotel der Stadt.

Unter Eichen grasen Rinder, Pfauen stolzieren über den Rasen, Männer tragen hier noch Kilt. Das Haus ist voller Antiquitäten, Kamine, Ölgemälde, es könnte einem ihrer Potter-Romane entsprungen sein. Tatsächlich war es umgekehrt, alles war schon da. Rowling musste es nur aufschreiben.

Die Schriftstellerin ist reicher als die Queen

Die Idee vom Zauberlehrling begann in einem Zug. Rowling saß 1990 in einer Bahn von Manchester nach London, die vier Stunden Verspätung hatte. Als sie aus dem Fenster sah, ins ländliche Nichts, fiel ihr ein Zauberschüler ein, elternlos, der nichts von seiner Kraft, von seinem Ruhm ahnt. Das erste Kapitel schrieb sie, heißt es, auf einer Serviette.

Im selben Jahr starb ihre Mutter, an der sie hing. Ihr Tod, sagte Rowling später, brachte Schuld, Angst und Sorge in ihr Leben. Sie ging nach Portugal, als Englischlehrerin, heiratete, bekam eine Tochter. Die Ehe scheiterte. 1993 zog sie zu ihrer Schwester nach Edinburgh, arm, depressiv, von Selbstmordgedanken geplagt.

Sie fing dort an, in Cafés zu schreiben. Vor allem in „Nicolson’s Café“, es gehörte damals ihrem Schwager, heute heißt es „Spoon“. Dort saß sie gern am Fenster, ein Kaffee musste reichen, einen zweiten konnte sie sich nicht leisten. Ihr Kind schob sie stundenlang durch die Universitätsstadt mit all ihren Parks, den alten Privatschulen, dem Schloss auf dem Hügel – all das floss ein in einen der größten Bestseller aller Zeiten. Heute ist Rowling reicher als die Queen.

„Wir leben in einer Gesellschaft, die uns lehrt, jede Art Scheitern zu vermeiden“, hat sie einmal gesagt. Mädchen würden besonders dazu erzogen, dass Perfektion der Schlüssel zum Erfolg sei. Für Rowling aber gehört das Scheitern zum Leben: „Das Scheitern lehrte mich Dinge über mich, die ich anders nie hätte lernen können.“ Sie hat aus dem Scheitern, ihrer Armut, ihrer Arbeitslosigkeit jedenfalls gut gelernt – das beweisen 500 Millionen verkaufte Bücher, übersetzt in fast 80 Sprachen.

Höhepunkt jeder Edinburgh-Reise ist der Potter-Trail

Edinburgh ist bis heute ein Quell der Inspiration für Rowling. Die Stadt hat 20 Bibliotheken, eine schöner als die andere, über der Central Library steht gemeißelt: „Let there be light“. Abends ist das Grau der Altstadt in warmes, gelbes Licht getaucht. Einen Pub namens „Tropfender Kessel“(„The Leaky Cauldron“) wie in der Londoner Winkelgasse, wo junge Zauberer ihre Utensilien kaufen, gibt es hier zwar nicht, aber „The Dog House“ klingt ähnlich magisch und schenkt Rowlings Fantasiegetränk aus („don’t fear the Butter Beer!“).

Noch schöner trinkt man in „The Voodoo Rooms“ (Gold, schwarzes Leder, Palmen), in „The Devil’s Advocate“ (400 Whiskysorten), früher ein Pumpenhaus, oder im „Guiltford Arms“, seit 1896 in Familienbesitz (Holzdrehtür, rot-goldene Decke, Säulen). Wer dort Platz nimmt, fühlt sich wie im Dorf vor den Toren der Zauberschule.

Will man sich nicht selbst auf Potter-Rowling-Spurensuche begeben, lässt man sich führen. Der Potter-Trail (gratis, Spenden willkommen) ist für Rowling-Fans der Höhepunkt jeder Edinburgh-Reise. Wer Glück hat, trifft auf Richard Duffy (Physiker) oder Will Naameh (Sprachwissenschaftler), beide sind auch Comedians und Betreiber des Potter-Trails.

Die Herbstsonne scheint auf Greyfriars Kirkyard, an eine kleine Gruppe verteilt Will Naameh (mit Brille und schwarzem Umhang) Zauberstäbe – Sushistäbchen, mit Heißkleber und Farbe verziert. Naameh stellt Fragen zu Harry Potter, vergibt für richtige Antworten Punkte, führt zum Grab eines gewissen Thomas Riddell (Tom Riddle alias Lord Voldemort), vor dem sich zu Halloween Fans in Kostümen duellieren. Regelmäßig erhält die Friedhofsverwaltung Briefe, die an den dunklen Lord adressiert sind.

Nach dem letzten Satz hat sie hemmungslos geweint

Namen faszinierten Rowling, erklärt Naameh vor dem Grab von William McGonagall. Im englischsprachigen Raum gilt er als schlechtester Dichter aller Zeiten, der Harrys Lieblingslehrerin und der mutigsten Pädagogin aller Zeiten, Minerva McGonagall, den Namen lieh. Hinter dem Friedhofstor strömen Kinder in Schuluniform aus der George Heriot’s School, 1628 gegründet für Waisen (wie Potter), 10.000 Pfund kostet sie im Jahr, eine der teuersten Privatschulen Britanniens.

Ihre vier Türme sieht man, wenn man im „Elephant House“ am Fenster sitzt. Hier verweilte Rowling oft, vor ihr der Friedhof, oben Edinburgh Castle, eine düstere Festung. „No WIFI“, steht auf einem Schild, „redet miteinander, tut so, als sei 1995“. Man kann rote Becher („Birthplace of Harry Potter“) kaufen. Die Toiletten sind vollgekritzelt mit Sprüchen wie „Danke, dass du meine Welt magischer gemacht hast“.

Mit zunehmendem Erfolg konnte Rowling nicht mehr im Café schreiben. Jeder hätte sie erkannt. Weil es ihr zu Hause mit drei Kindern zu laut war, buchte sie eine Suite in einem der teuersten Hotels der Stadt, im „Balmoral“, heimlich natürlich.

Will Naameh weiß sogar Details: Nach dem letzten Satz habe sie hemmungslos geweint, einen Champagner geköpft und eine Büste signiert – „J.K. Rowling schrieb in diesem Raum (552) das Ende von Harry Potter und die ,Heiligtümer des Todes‘ am 11. Januar 2007“. Heute kostet die „J.K. Rowling Suite“ 1740 Euro pro Nacht. Potter-Bände und Eulentürklopfer sind im Preis enthalten, Zauberstäbe nicht.

Tipps und Informationen

Anreise: Edinburgh und Glasgow werden von verschiedenen deutschen Städten aus nonstop angeflogen, etwa von Lufthansa, Easyjet oder Ryanair. Wer mit dem eigenen Auto anreisen möchte, kann die Fähre Amsterdam–Newcastle nehmen, die rund 90 Kilometer südlich der schottischen Grenze an- und ablegt (dfdsseaways.de).

Unterkunft: In Edinburgh: „Prestonfield House“, Herrenhaus von 1751, das glamouröseste Hotel der Stadt, Abendessen umgerechnet rund 45 Euro, Afternoon Tea 33 Euro, Doppelzimmer ab 200 Euro, prestonfield.com.

„Casa Hamilton“, uriges Bed and Breakfast, Master Room ab 117 Euro, casahamilton.co.uk.

In den Highlands: Über die A82 von Loch Lomond über Rannoch Moor und Glen Coe zum „Larchwood B&B“ außerhalb des Örtchens Roy Bridge, Garden Room ab 90 Euro, larchwoodlochaber.co.uk.

In Glasgow: „Argyll Guest House“ im Universitätsviertel, Zimmer ab 51 Euro, buchbar zum Beispiel über booking.com

Potter-Highlights: Der Jacobite Steam Train fährt zwischen Fort William und Mallaig, Hin- und Rückfahrtticket für Erwachsene ab umgerechnet 40 Euro, für Kinder ab 20 Euro, High Tea 20 Euro, westcoastrailways.co.uk/jacobite/jacobite-steam-train-details.cfm. Die Tour auf dem Potter-Trail in Edinburgh startet täglich um 14 Uhr und dauert rund 1,5 Stunden, pottertrail.com (ohne Anmeldung, keine Kosten, Spenden willkommen). Der Eintritt für Alnwick Castle kostet umgerechnet ab 18 Euro für Erwachsene und für Kinder 9 Euro, inklusive Besenstielflug, alnwickcastle.com

Weitere Infos: Visit Britain, visitbritain.com/de/de/auf-den-spuren-von-harry-potter; visitscotland.com

Tipp der Redaktion: In den Filmstudios von Warner Brothers in Leavesden bei London werden „The Making of Harry Potter“-Touren angeboten, bis 10.11. noch die Tour „Dark Arts“ (Halloween, Kürbisse in der Großen Halle), ab 17.11. „Hogwarts in the Snow“, ein Familienticket kostet 140 Pfund, wbstudiotour.co.uk