1998 kam Dirk Nowitzki aus Würzburg in die NBA. Ein 2,13 Meter großer Schlaks, 19 Jahre alt, mit gutem Wurf und schlechtem Englisch. “German Wunderkind” tauften ihn US-Medien.

Zwei Jahrzehnte später geht Nowitzki in seine 21. Saison bei den Dallas Mavericks, kein Profi spielte je länger für dasselbe Team. Werfen kann er nach wie vor, nur Wunderkind nennt ihn heute keiner mehr. Stattdessen: “The Big Mummy”, die große Mumie.

Nowitzki nimmt den zweifelhaften Spitznamen mit Humor, doch in der Sache beschreibt er durchaus treffend die sportliche Entwicklung des NBA-Champions von 2011: Das Spiel des Altstars befindet sich in einem langsamen, aber steten Verfallsprozess. Binnen fünf Jahren sank der Punkteschnitt des Deutschen von 21,7 Zählern pro Spiel auf 12.

In der kommenden Saison wird sich der Einfluss Nowitzkis weiter verkleinern – auch formal. Er rückt ins zweite Glied, erstmals in seiner Karriere wird er von der Bank kommen. Seinen Platz in der ersten Fünf übernimmt Center-Zugang DeAndre Jordan, der in Dallas einen Einjahresvertrag unterschrieben hat, der ihm 29 Millionen US-Dollar einbringt.

Alles Gute, Großer!

Dirk Werner Nowitzki mit seinem Lieblingssportgerät: dem Basketball. Der 39-Jährige spielt seit 20 Jahren in der amerikanischen Profiliga NBA. Das Jahr 1998 stellte sein Leben gründlich auf dem Kopf. Mit DJK Würzburg stieg er auf und wechselte in die NBA, nachdem er beim “Hoop Summit” am 29. März 1998 alle Talentsichter mächtig beeindruckt hatte.

Noch nicht überragend: Als Dreizehnjähriger in der Jugendmannschaft der DJK Würzburg ist Dirk Nowitzki (Nummer 11) im Jahr 1991 bereits gut an den eckigen Schultern zu erkennen. Angefangen hatte der junge Dirk mit Handball und Tennis und fand mit elf Jahren den Weg zum Basketball. Seinen ersten Auftritt kommentierte Trainer Pit Stahl (rechts oben) so: “Er ist nur ein bisschen herumgelaufen.”

Letzte Spiele in Good Old Germany: 1998 war Nowitzki bereits im NBA-Draft gezogen worden, trat aber noch für DJK Würzburg in der ersten Bundesliga an (hier am 4. September 1998 gegen Alba Berlin). Die NBA-Saison war im Herbst 1998 aufgrund eines Lockouts auf Eis gelegt und begann erst verzögert Ende Januar 1999.

Der ganz große Wurf: Als 19-Jähriger steht Nowitzki beim Hoop Summit 1998 zum ersten Mal an der Freiwurflinie (hier im Video) und macht die ersten beiden Punkte für die Weltauswahl. Im Spiel gegen die besten High-School-Spieler der USA traf er 19 von 23 Versuchen von der Linie. Mit insgesamt 33 Punkten und 14 Rebounds wurde er als MVP, wertvollster Spieler, geehrt.

Andenken vom sensationellen Spiel: Im November 1998 trägt Dirk Nowitzki das T-Shirt vom Hoop Summit. Da spielte er noch für die X-Rays aus Würzburg und wartete auf den Absprung in die NBA.

Superstar in den USA: Nach ersten Anlaufschwierigkeiten vor allem wegen des sehr physischen Spiels in der NBA machte Nowitzki eine steile Karriere und hielt alles, was er bei seinem Durchbruch im Superspiel 1998 versprach – ungemein vielseitig und treffsicher, keine Scheu vor Körperkontakt, geschmeidig und beweglich wie sonst meist nur deutlich kleinere Basketballer.

“Det the Threat”: Ein Wegbereiter für deutsche Talente in den USA war Detlef Schrempf, hier 1994 bei einem Streetball-Turnier in München. Er spielte 16 Jahre in der NBA und begann seine Karriere ebenfalls bei den Dallas Mavericks. Als Dirk Nowitzki für Dallas im Februar 1999 erstmals spielte, traf er auf die Seattle SuperSonics – mit Schrempf, dem anderen Deutschen.

Beste Freunde: Dirk Nowitzki posiert 1998, schon hier mit der Trikotnummer 41, gemeinsam mit seinem Spielerkollegen Steve Nash und seinem Trainer Don Nelson bei einer Pressekonferenz der Dallas Mavericks. Nowitzki freundete sich früh mit dem Kanadier Nash an. Da ahnte sicher noch niemand, dass diese beiden Ausländer mit den eigenwilligen Frisuren später einmal jeweils zum wertvollsten Spieler der Liga (MVP) gewählt werden würden.

Die Anfangszeit in der NBA war hart für Nowitzki. Sein Trainer Don Nelson hatte ihn vollmundig als “Rookie of the Year”, als besten aller Neulinge angekündigt. Doch Nowitzki enttäuschte zunächst. Selbstzweifel und Heimweh plagten den damals 20-Jährigen, gegen Ende der Saison bekam er mehr Spielzeit. Und konnte in der zweiten Saison seine Leistung erheblich steigern.

In der Saison 2000/01 avancierte Nowitzki mit 21,8 Punkten im Schnitt zum besten Punktelieferanten des Teams – was auch an seinem Freund Steve Nash lag, mit dem er ein immer besseres Duo auf dem Feld abgab. Die Mavericks erreichten zum ersten Mal nach elf Jahren wieder die Playoffs.

Der Wechsel von Steve Nash nach Phoenix machte Nowitzki schwer zu schaffen. “Das hat mich schockiert”, sagte er. In der Saison 2005/06 trafen die beiden im Finale der West-Teams aufeinander. Nowitzkis Mavericks gewannen gegen die Phoenix Suns und erreichten zum ersten Mal das NBA-Finale, verpassten aber die Meisterschaft.

Holger Geschwindner ist seit Mitte der Neunzigerjahre Nowitzkis privater Trainer, Mentor, Berater und Freund. Der eigenwillige Ex-Nationalspieler erkannte früh das Riesenpotenzial des Würzburger Riesen. Für Nowitzki ist er ein “Super-Einzelcoach, der beste der Welt”. Aber weniger als Mannschaftstrainer – da habe es nur Chaos gegeben.

Vor seiner Zeit als Nowitzkis Individualcoach war Holger Geschwindner selbst ein erfolgreicher Basketballspieler (Aufnahme von 1971). Er war dreimal Deutscher Meister mit dem MTV Gießen und nahm 1972 als Nationalspieler an den Olympischen Spielen teil.

Skeptische Beobachter: Von Dirks überraschendem Aufbruch Richtung Texas erfuhr Vater Jörg Nowitzki (Mitte, Foto von 2005), erst am Morgen der Abreise im März 1998. Er war Zweitliga-Handballer und zunächst auch Handballtrainer seines Sohnes. Die Familie ist sportlich höchst erfolgreich: Schwester Silke (rechts) war Basketball-Nationalspielerin, ebenso Mutter Helga Nowitzki. Privattrainer Holger Geschwindner (links) ist bis heute bei den wichtigsten Spielen zur Stelle.

Dehnen mit Dirk: Holger Geschwindner beim alljährlichen Spezialtraining mit seinem Schützling in der Halle in Rattelsdorf. Jeden Sommer haben die beiden stundenlang Schussübungen abgespult, die Namen tragen wie “Bouncer”, “Leiern” oder “Dreher”.

Inzwischen ist Nowitzki ist einer der letzten Spieler der alten Generation, die noch gegen die großen Spieler der Neunzigerjahre antraten. Hier zieht er gegen sein damaliges Idol Scottie Pippen zum Korb. Kein aktiver Spieler in der NBA hat mehr Spiele absolviert und mehr Punkte erzielt als Nowitzki.

Sogar gegen “His Airness” Michael Jordan durfte Nowitzki mehrfach spielen. Nach ihrem letzten Duell im Februar 2003 war der damals 40-Jährige voll des Lobes für den jungen Deutschen: “Dirk ist stark, er ist intelligent. Er weiß, wie man spielt. Es war für mich eine großartige Herausforderung, noch einmal gegen ihn zu spielen.” Nowitzki machte 29 Punkte, Jordan 30.

Nowitzki für Deutschland: Wegen der hohen, kräftezehrenden Belastung in der Liga sind Einsätze in der Nationalmannschaft für deutsche NBA-Basketballer immer eine schwierige Entscheidung. Nowitzki indes rackerte immer wieder auch in Qualifikationsspielen – er wollte unbedingt bei Olympia dabei sein, doch das Team scheiterte mehrfach, was Nowitzki im SPIEGEL-Interview zu den “Riesenenttäuschungen in meiner Karriere” zählte.

Endlich Fahnenträger: 2008 in Peking konnte sich Nowitzki mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen endlich einen Traum erfüllen und sogar die Fahne der deutschen Mannschaft ins Stadion tragen. “Das ist der einzige Tipp, den sie mir damals gegeben haben: Schwing das Ding nicht so rum wie beim Karnevalsverein”, sagt Nowitzki im SPIEGEL-Interview.

Guten Flug: Bevor es losgeht, ist schon immer noch Zeit für einen Hüpfer, hier vor dem Anpfiff Dallas Mavericks gegen Cleveland Cavaliers 2010 – man hat so seine Rituale vor dem Spiel.

Mach uns den Storch: Maß nehmen – so ungefähr soll die Statue aussehen, die die Dallas Mavericks zu Nowitzkis Ehren vor der Arena errichten wollen. “The one legged Fadeaway” ist ein Markenzeichen von Nowitzki. Der einbeinige, nach hinten fallende Wurf ist ungewöhnlich, verschafft ihm noch etwas mehr Raum und ist wegen Nowitzkis Größe kaum zu blocken.

Für die Ewigkeit: Seine Wurftechnik ist einer der Signature-Moves, die jeder NBA-Fan kennt. Sie wurde sogar zum Thema eines Films über den Würzburger: “Der perfekte Wurf”. Doch es geht nicht nur um den Wurf, sondern den Spieler Nowitzki an sich. In der Dokumentation würdigen zahlreiche Stars wie Kobe Bryant die Leistungen des Deutschen in der NBA.

Der Beste der Liga: 2006 verloren Nowitzki und die Mavericks das Finale gegen die Miami Heat. In folgenden Saison gehörte Dallas zu den Favoriten um den Titel. Nowitzki wurde sogar zum MVP, Spieler des Jahres, gewählt. Er ist bis heute der einzige Europäer, dem diese Ehre zuteil wurde. So richtig freuen konnte er sich über die Auszeichnung nicht – nur Tage zuvor war sein Team überraschend in der ersten Playoff-Runde gescheitert.

2011 dann der absolute Triumph: Nowitzki gewinnt mit den Dallas Mavericks die Meisterschaft und wird zudem zum wertvollsten Spieler der Finals gewählt. Im letzten Spiel der Serie, Sekunden vor dem Abpfiff, rennt Nowitzki allein in die Kabine. Im Spielertunnel kommen ihm vor Rührung die Tränen. Wie er später “We are the Champions” intoniert… Schwamm drüber.

Im Sommer 2012 heirateten Dirk Nowitzki und Jessica Olsson. Mittlerweile sind sie zu fünft, mit zwei Söhnen und einer Tochter. “Ein Glücksfall”, sagt Dirks Mutter Helga über die Ehefrau. Drei Jahre zuvor war eine andere Beziehung Nowitzkis in die Brüche gegangen. Er war einer Betrügerin aufgesessen, die sich an ihm bereichern wollte. Sonst hielt er sein Privatleben meist erfolgreich aus der Öffentlichkeit heraus – “vielleicht war mein Leben zu langweilig”, sagt Nowitzki.

Basketball trifft Politik: Seinen 35. Geburtstag feierte Döörk from Wörtsbörg am 19. Juni 2013 im Schloss Charlottenburg. Im Rahmen des Deutschland-Besuchs von Barack Obama saß Nowitzki an einem Tisch mit der Bundeskanzlerin und dem US-Präsidenten, der stets ein Faible für Basketball hatte und gern auch selbst mal einen Ball im Korb versenkt. Bei Angela Merkel aus Mecklenbörg ist davon nichts bekannt, sie drängt sich eher in die Kabine von deutschen Fußball-Weltmeistern.

Jedes Jahr veranstaltet die Dirk-Nowitzki-Foundation ein Baseballspiel mit Prominenten für einen guten Zweck. Immer ein großer Spaß mit alten und neuen Weggefährten von Nowitzki – alles zum Wohle der Kinder. Dieses Jahr wird die Veranstaltung zum 17. Mal laufen.

Nowitzki ist stets auf dem Boden geblieben und war sich nie zu schade, auch neben dem Court für die gute Sache einzutreten. Hier streicht er im Rahmen des All-Star-Wochenendes 2010 einen Fensterrahmen.

Der neue deutsche Shootingstar in der NBA heißt Dennis Schröder (links). Der Braunschweiger ist Aufbauspieler bei den Atlanta Hawks und hat großen Respekt vor Nowitzkis Leistung. “Er geht bald in den Ruhestand – und gegen ihn zu spielen, sich mit ihm zu messen, ist immer ein gutes Gefühl”, sagte der 24-Jährige nach einem Spiel im vergangenen Jahr.

In der aktuellen Saison lief es nicht gut für die Dallas Mavericks. Nach der Regular Season belegte das Team den 13. Platz und verpasste die Playoffs deutlich.

So will er nicht abtreten: Dirk Nowitzki hängt noch ein Jahr in Texas dran. Auch mit 40 Jahren fühlt er sich noch fit genug für die NBA. Der Deutsche bereitet sich derzeit auf seine 21. Spielzeit in der besten Basketball-Liga der Welt vor.

Als sechster Mann steht Nowitzki vor ungewohnten Herausforderungen. Er gilt als “Slow Starter”, als einer, der eher gemächlich in Spiele hineinfindet. In der Rolle des Bankspielers kann sich Nowitzki den Luxus des Eingroovens nicht mehr erlauben. Eine vorläufige Lösung präsentierte er augenzwinkernd beim alljährlichen NBA Media Day: “Ein Extra-Kaffee, dann läuft das.”

Aktueller Status: verletzt

Aktuell plagen Nowitzki allerdings Probleme, die auch Koffein nicht beheben kann. Im April war der Deutsche am Knöchel operiert worden, spielfähig ist er noch immer nicht. Wann genau Nowitzki auf den Court zurückkehren wird, ist ungewiss. Immerhin: Einige nicht unbedeutende Aspekte seiner Rolle kann die große Mumie auch ohne fitte Beine ausfüllen.

In Trainingspausen, während Timeouts, im Flugzeug oder beim Mannschaftsessen wird Nowitzki reichlich Gelegenheit haben, Erfahrungen weiterzugeben und Hilfe zu leisten. Mentor zu sein. In der Kabine ist sein Einfluss noch immer groß. 2017 wählte ihn die NBA-Spielergewerkschaft zum “Teammate of the year”.

Toptalente Doncic und Smith Jr.

Besondere Aufmerksamkeit dürfte Nowitzki dem Toptalent der Mavericks schenken: Luka Doncic. Der Slowene steht vor seiner ersten NBA-Saison, er gilt als Jahrhunderttalent – und als Nowitzkis legitimer Nachfolger. Mit 16 Jahren gab er sein Profidebüt bei Real Madrid.

Drei Jahre später ist Doncic dreifacher spanischer Meister, zweifacher spanischer Pokalsieger, Europameister, EuroLeague-Gewinner, EuroLeague-MVP und MVP der spanischen Liga – um nur die größten seiner Auszeichnungen zu nennen. Noch vor seinem NBA-Debüt ist “The Slovenian Sensation” dem höchsten europäischen Niveau entwachsen, in einem Alter, in dem Nowitzki noch in der zweiten Basketball-Bundesliga gegen Teams wie Breitengüßbach oder Speyer spielte.

Luka Doncic

Doncics wohl größte Stärken sind seine Übersicht und Spielintelligenz. Fähigkeiten, die Nowitzki schon nach nur wenigen gemeinsamen Trainingseinheiten bezeugen kann. “Die Art, wie er Verteidigungen liest, ist fantastisch”, sagte er beim Media Day. “Ich habe noch nie einen jungen Spieler mit so einer guten Übersicht gesehen.”

Im allgemeinen Hype um Doncic, der in Dallas als Flügelspieler auflaufen wird, geht fast unter, dass die Mavericks noch einen zweiten hochveranlagten Youngster im Kader haben: Dennis Smith Jr. – Der explosive Point Guard geht in sein zweites NBA-Jahr und könnte sich wie Doncic zu einem Superstar entwickeln.

Mit Nowitzki in die Post-Nowitzki-Ära

Gemeinsam sollen Doncic und Smith die seit Jahren erfolglosen Mavericks in eine glorreiche Post-Nowitzki-Ära führen. Vor allem zugunsten ihrer weiteren Entwicklung erfolgte die Abberufung Nowitzkis aus der Startformation: Sein Center-Ersatz Jordan ist ein exzellenter Athlet und Blocksteller, was den Ballführern Doncic und Smith entgegenkommt.

Nowitzki wiederum soll von der Bank wichtige Impulse setzen. Sein Wurf fällt nach wie vor sicher, hinter der Dreierlinie wird der 40-Jährige konstant Gegenspieler binden – und damit Platz in der Zone schaffen. Defensiv absichern dürfte ihn unter anderem sein deutscher Teamkollege Maxi Kleber, der in der Vorbereitung auf sein zweites NBA-Jahr einen guten Eindruck hinterließ.

In der Nacht auf Donnerstag (4.30 Uhr MEZ) beginnt sie, Nowitzkis Rekordsaison. Ob seinen Mavericks in der hochklassigen Western Conference der Sprung in die Play-offs gelingt, hängt vor allem von der Performance seiner Erben Doncic und Smith ab; aber auch vom Zeitpunkt seiner eigenen Rückkehr.

Und natürlich von der Qualität seines Kaffees.